Die Berliner Polizei
Die Polizei ist bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität selbstverständlich von fundamentaler Bedeutung. Entgegen anderslautenden Bekundungen einiger Politiker ist der in den letzten Jahren betriebene Personalabbau bei der Polizei - dessen Ziel es ist, angesichts der finanziellen Misere Berlins Mittel einzusparen - nach meiner Einschätzung nicht mehr vertretbar.
Die Berliner Polizei verfügte im Jahr 2000 über 20.250 sogenannte Plan- und Ausbildungsstellen, im Jahr 2004 waren es noch 17.945 und in 2008 17.315. Das entspricht über einen Zeitraum von acht Jahren einem Abbau von 14,5 Prozent (diese Zahlen sind der Bundestagsdrucksache 15/5236 entnommen und beruhen auf einer Länderumfrage des Innenministeriums Nordrhein-Westfalens).
Die für Berlin geplante weitere Reduzierung soll sich in Richtung von 16.000 Stellen bewegen, was nach Auskunft der Gewerkschaft der Polizei noch eine optimistische Lesart ist. Dort rechnet man vielmehr mit einer zukünftigen Personalstärke deutlich unterhalb von 16.000 Polizeibeamten. Andere Bundesländer haben hingegen weit weniger Stellen abgebaut. So hat Baden-Württemberg von 2000 bis 2008 9,1 Prozent, Hessen 8,7 Prozent, Thüringen 7,6 Prozent Stellen eingespart. Hamburg hat 3,4 Prozent, das Saarland 5,5 Prozent und Niedersachsen 6,0 Prozent zusätzliches Personal eingestellt, obwohl ich zu behaupten wage, dass die dortigen Problemlagen nicht mit denjenigen Berlins zu vergleichen sind.
Die Auswirkungen der Berliner Einsparungen zeigen sich an vielen Stellen. So gab es in der Hauptstadt kurz nach der Wende 52 Polizeiabschnitte, gegenwärtig sind es 41, geplant sein sollen nach Auskunft der Gewerkschaft der Polizei (GdP) insgesamt noch 36. Auf den Polizeiabschnitten werden rund 50 Prozent der Straftaten bearbeitet. Da macht es schon einen gewaltigen Unterschied, ob 52 oder 36 Abschnitte zur Verfügung stehen. Es wird mir kein höherer Polizeibeamter klarmachen können, dass dieselbe Qualität polizeilicher Arbeit durch weniger Dienststellen sichergestellt werden kann, denn es arbeiten dort schlicht weniger Menschen.
Man bedenke zusätzlich die ständigen Sonderbelastungen, die eine Stadt wie Berlin zu verkraften hat: 1. Mai - in 2009, wie bereits angesprochen, so gewalttätig wie nie über das Jahr verteilt zeitgleich rechte und linke Demonstrationen, spontane Aktionen, wenn im Iran die Wahlergebnisse gefälscht werden oder Kurden gegen Türken demonstrieren; Rocker und Hooligans sollen gebändigt, Staatsbesuche umfangreich gesichert werden. Hinzu kommen neuerdings die erwähnten Brandanschläge auf Hunderte von Autos. Selbst wenn ein Ländervergleich ergäbe, dass, bezogen auf die Einwohnerzahl, Berlin mit einer vergleichbaren Anzahl von Polizeimitarbeitern ausgestattet ist wie z. B. Frankfurt am Main, halte ich dieses Argument nicht für stichhaltig. Denn wie bei den Richtern und Staatsanwälten müssten Art und Umfang der anfallenden Tätigkeiten miteinander verglichen werden.
Mir bestätigen Beamte vor Ort und Gewerkschaftsvertreter jedenfalls durchweg, dass sie sich nicht immer in der Lage sehen, ihre Arbeit sinnvoll zu erledigen und die Kriminalität nachhaltig zu bekämpfen.
Die Frustration der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ist dementsprechend zumindest an der Basis ausgeprägt. Man fühlt sich dort manchmal ohnmächtig und hilflos, was allerdings nicht ausschließlich auf die Personalausstattung, sondern auch auf den erschwerten Umgang mit den Tatverdächtigen zurückzuführen ist. Diese wissen in der Regel, dass ihnen letztlich nicht viel passiert, auch und gerade mit Blick auf die sehr jungen Kriminellen, die noch strafunmündig sind. Aber auch bei den über 14-Jährigen beklagen die Beamten die Dreistigkeit, mit der die Beschuldigten auftreten. Sie wissen sehr gut, wie selten junge Täter, die über einen festen Wohnsitz verfügen, in Untersuchungshaft genommen werden bzw. in einer Einrichtung zur Vermeidung von Untersuchungshaft Aufnahme finden. Die Polizisten schildern immer wieder, dass Jugendliche heute festgenommen werden und morgen wieder frei herumlaufen und sich anschließend über die Beamten lustig machen. Die Staatsbediensteten haben dementsprechend keinen Respekt von den Tätern zu erwarten, im Gegenteil: Beschimpfungen und Demütigungen sind an der Tagesordnung. In diesem Kontext ist auch die sogenannte „Rudelbildung" in Stadtteilen, die überwiegend von Migranten bewohnt werden, zu sehen. Damit wird die Situation bezeichnet, in der sich Beamte befinden, wenn sie beispielsweise eine vorläufige Festnahme durchführen wollen. Plötzlich sind sie dann von zwanzig bis dreißig Männern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund umringt, die sehr entschlossen zeigen, dass die polizeiliche Maßnahme nicht erwünscht ist. Das sehe ich als weiteren erheblichen Verlust staatlicher Autorität an.
Falls es in den besagten Situationen trotz entsprechenden Widerstandes zu einer vorläufigen Festnahme kommt, ist die gesetzliche Hürde für eine Inhaftierung besonders bei Jugendlichen hoch. Die Vorgaben des JGG sind gerade bei den 14- bis 16-Jährigen auch bei dringendem Tatverdacht eindeutig auf eine Haftvermeidung zugeschnitten. Ich teile aber die Einschätzung der Polizeimitarbeiter, dass es nicht hingenommen werden kann, wie die Beschuldigten „dem Staat auf der Nase herumtanzen". Der die Beamten unendlich frustrierende Effekt, nichts zu erreichen, weil die Jugendlichen und teilweise bereits die Kinder wissen, dass ihnen „keiner was kann", muss unterbunden werden, denn er schadet letztlich auch den jungen Menschen, in deren Verhalten sich die Notwendigkeit einer Grenzsetzung deutlich zeigt. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich also, dass über Unterbringungen der gefährdeten Kinder und Jugendlichen nachzudenken ist. Sonst sind sie plötzlich in eine so schwere Tat verwickelt, dass nun ernsthafte Haftgründe vorliegen. Wenn es erst einmal so weit ist, sitzen sie bald in der Jugendstrafanstalt. Ein bislang jedenfalls in Berlin ungenutztes Potenzial liegt hier in der Vorschrift des § 71 JGG, der es dem Jugendgericht ermöglicht, auch im laufenden Ermittlungsverfahren erzieherisch auf den Beschuldigten einzuwirken.
In Anbetracht der Personallage der Berliner Polizei wird es niemanden verwundern, dass auch die sogenannten Anzeigen „von Amts wegen" deutlich zurückgegangen sind, und zwar im Zeitraum von 2001 bis 2008 von jährlich 127.000 auf 102.000. Zugleich sind die „Liegevermerke" bezüglich mehrere Wochen nicht bearbeiteter Verfahren von 2004 bis 2008 von 3294 auf 6059 jährlich angestiegen. „Von Amts wegen" kommt eine Anzeige dann zustande, wenn die Polizei eine Straftat von sich aus aufdeckt. Ein klassisches Beispiel: Eine Zivilstreife rückt aus und trifft auf einige schwarz gekleidete Jugendliche, die mit Rucksäcken hektisch von einem S-Bahn-Gelände wegrennen. Die Beamten kontrollieren die Personen und finden Farbsprühdosen in den Rucksäcken sowie entsprechende Farbanhaftungen an den Händen. Das Gelände wird abgesucht, und es findet sich ein frisch besprühter S-Bahn-Zug, dessen neuer Anstrich zu den bunten Fingern und Dosen der Tatverdächtigen passt. Das daraufhin eingeleitete Strafverfahren wird dann „von Amts wegen" in Gang gesetzt, da ja ansonsten niemand etwas angezeigt hat. Unabhängig davon kann der Geschädigte der Sprüherei einen Strafantrag stellen, jedoch bleibt der Vorgang für die Statistik eine Anzeige „von Amts wegen". Das setzt aber voraus, dass solche Einsätze auch tatsächlich stattfinden. Gewerkschaftsvertreter der Polizei habe ich deshalb gefragt, ob der Rückgang der Anzeigen „von Amts wegen" entgegen der offiziellen Lesart nicht schlicht und ergreifend auf die seltener durchgeführten Streifenfahrten zurückzuführen ist. Ich erhielt in diesem Punkt eine klare und unmissverständliche Zustimmung. Weniger Streifen bedeuten nun einmal weniger Anzeigen von Amts wegen, was sich wiederum auf die polizeiliche Kriminalstatistik auswirkt.
Positiv hervorheben möchte ich die Arbeit der Fachbereiche zur Bekämpfung der Jugendgruppengewalt und der Intensivtäter. Hier ist eine Spezialisierung eingeführt worden, die sich mit der Arbeit der Staatsanwaltschaft im Bereich der Intensivtäter vergleichen lässt und sich als hilfreich erweist. In gleicher Weise beeindruckt mich die Arbeit der Präventionsbeauftragten der Polizei, die gerade in Schulen häufig anzutreffen sind und dort im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr großes Engagement an den Tag legen, um der Entstehung von Gewalt entgegenzuwirken.
Was aus alledem folgt, ist klar: Die Polizei muss deutlich gestärkt werden, um der Aufgabe einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung nachkommen zu können. Der Personalabbau ist unbedingt zu stoppen, die Polizeipräsenz im öffentlichen Raum zu vervielfachen. Die Autorität der Beamten ist zu stärken. Dies ist bei Jugendlichen am ehesten dadurch zu erreichen, dass sie merken, dass auf ihre Taten schnelle staatliche Reaktionen erfolgen und Polizei, Staatsanwaltschaft, Justiz und Jugendamt und gegebenenfalls auch die Schulen Hand in Hand arbeiten, am selben Strang ziehen und sich nicht länger vorführen lassen.
Die verbale Herabsetzung oder sonstige Entwürdigung eines Staatsbediensteten darf nicht hingenommen werden und muss dementsprechend grundsätzlich und nicht nur im Ausnahmefall geahndet werden. Meines Erachtens ist die Justiz hier auch in der Pflicht, durch spürbare Sanktionen gegenüber den Angeklagten deutliche Zeichen zu setzen. Die Zahl der im Dienst verletzten Polizeibeamten hat, wie bereits dargestellt, mit 2874 Betroffenen im Jahr 2008 ein neues Rekordniveau erreicht. Das ist der höchste Wert seit 2003. Er wird - wenn man allein die 480 angegriffenen und verletzten Beamten der 1.-Mai-Krawalle berücksichtigt - für 2009 nicht geringer ausfallen.
Eine starke, selbstbewusste Polizei ist nicht zuletzt auch deshalb von Bedeutung, weil die Ablehnung staatlicher Einrichtungen und ihrer Repräsentanten ein allgemeines Phänomen ist und eine Reflexwirkung auf den Staat und seine Einrichtungen insgesamt entfaltet.
Im Übrigen bestätigen auch die meisten Kriminologen, dass eine höhere Polizeipräsenz in den Städten das Entdeckungsrisiko für die Täter erhöht und deshalb präventive Wirkung entfaltet. Insbesondere der jugendliche Täter fürchtet zunächst einmal das „Erwischtwerden". Da geht der Ärger schließlich los. Hat man den Stress des Zwangsaufenthaltes im Polizeirevier, des Abholens durch die Eltern und die polizeiliche Vernehmung erst einmal hinter sich, vergehen Monate, bis eventuell eine Anklage ins Haus flattert. Abgesehen davon kann keine Videoüberwachung das Sicherheitsgefühl der Menschen so stärken wie die Gegenwart anderer Menschen, die mit Autorität ausgestattet sind.